Spekulative Spiritualität
Anmerkungen zu Bernd Ribbeck
von Oliver Koerner von Gustorf
Kosmisches Leuchten. Kaleidoskopische Visionen, kristalline Kathedralen aus Linien und Farbe: Vieles in Bernd Ribbecks Malerei mag auf beinahe sakrale Weise harmonisch und wohltemperiert erscheinen. Doch diese Malerei vereint absolute Gegensätze und Extreme in sich. Ribbecks Bilder können zugleich spirituell und materiell, totale Verinnerlichung und totale Oberfläche sein. Sie changieren zwischen Welterklärungssystemen und gegenstandslosen Kompositionen. Man kann sich vorstellen, wie sie zurückreichen, durch die Moderne, die Renaissance, das Mittelalter, in eine archaische Vergangenheit, in der Planeten und ganze Sonnensysteme geboren werden. Oder doch nur Kreise ? Vielleicht strahlen Ribbecks Gemälde in eine abstrakte Welt ohne Menschen voraus, in eine kommende, futuristische Zeit, für die es bislang weder Bilder noch eine Sprache gibt – aber kann es sein, dass diese imaginäre Zukunft gerade als ornamentaler Entwurf für eine Quilt-Decke stattfindet?
Auch wenn in dieser Malerei immer wieder die klassische Moderne, von Lionel Feiningers Kirchenbildern bis zu Paul Klees abstrakt-expressivem Spätwerk, aufscheinen mag, sind die wahren Schutzheiligen von Ribbecks Kunst Außenseiter: Vertreter einer geometrischen Abstraktion, die vorrangig nicht im Dialog mit der Kunstgeschichte entsteht, sondern aus einem tiefen inneren, spirituellen oder auch wahnhaften Erleben entspringt. So fokussiert sich sein Interesse von Anbeginn seiner künstlerischen Laufbahn in den späten 1990er-Jahren auf Autodidakten, Einzelgänger, Spiritisten. Allesamt stehen sie Zeit ihres Lebens außerhalb des Kanons der Moderne: Die Schweizer Heilerin und Künstlerin Emma Kunz (1892–1963), die ihre geometrischen Zeichnungen mit dem Pendel auf dem Millimeterpapier ausführt. Der von der Alchemie und den Ideen C. G. Jungs inspirierte amerikanische Outsider-Künstler Forrest Bess (1911–1977), der sich selbst zum Hermaphroditen umoperiert und seine Visionen in archaischen Abstraktionen festhält. Die schwedische Künstlerin und Okkultistin Hilma af Klint (1862–1944), die, von inneren Visionen getrieben, zwischen 1906 und 1907 noch vor Kandinsky die ersten geometrisch-abstrakten Gemälde der Kunstgeschichte malt. All diese Positionen eint, dass diese Abstraktion trotz ihrer Dringlichkeit oder gar Zwanghaftigkeit in ihrer Formensprache ganz und gar „modern“ ist und Tendenzen der etablierten „Avantgarde“ sogar vorwegnimmt.
In Ribbecks Malerei der 2000er-Jahre hallen weniger konkrete Motive oder die Beschäftigung mit den Biografien dieser Künstler nach. Es ist vielmehr die Suche nach neuen Strategien in der Malerei, die sich von erstarrten akademischen und institutionellen Diskursen lösen und auf einen zunehmend erhitzten globalen Kunstmarkt reagieren. Bereits seine Wahl von kleinen und mittleren Formaten und die „Bescheidenheit“ seiner Mittel (MDF-Platte, Kugelschreiber), die reduzierte, meditative Hängung seiner Werke können angesichts der damaligen Situation als eine Art politisches Statement verstanden werden. Es ist die Zeit der boomenden Kunstfabriken, der glatten, warenförmigen Oberflächen, der großen Bilder. Jeff Koons und Damien Hirst definieren den Bling in der Kunst neu und produzieren immer aufwändigere Pop-Skulpturen. Die Relational Art mit Künstlern wie Tobias Rehberger oder Philipe Parreno verwandeln die Museen in Clubs, Lounges und Spielplätze. Unter dem Banner einer erneuerten Figuration liefert die sogenannte Neue Leipziger Schule mit Neo Rauch an der Spitze eine traumartig-opulente Historienmalerei – zumeist in gigantischen, überwältigenden Formaten. Doch mitten in dieser Stimmung macht sich eine merkwürdige Leere breit, und die Sehnsucht nach etwas Authentischem, Radikalem, weniger Berechenbarem und Berechnendem wird spürbar.
Besonders deutlich wird dies am Phänomen Hilma af Klint, die Ribbeck bereits seit seiner Studienzeit interessiert. Zwar waren ihre Bilder bereits seit den 1980er-Jahren in Insider-Kreisen und gerade unter Künstlern bekannt und wurden in Themenausstellungen wie The Spiritual in Art (1986) gezeigt. Doch das Schicksal vieler „Outsider“, in Ausstellungen nur als Fußnote zur institutionell sanktionierten Kunstgeschichte zu dienen, ändert sich in ihrem Fall erst 2006 wirklich. Das Londoner Camden Arts Center zeigt af Klint in der gefeierten Einzelausstellung An Atom in the Universe und schleust sie als eigenständige Position in einen Diskurs ein, der damals bereits schon länger in der Gegenwartskunst brodelt.
Seit Beginn der 2000er-Jahre sieht es so aus, als würden sich der etablierte Kunstbetrieb und der zunehmend aufgeheizte Kunstmarkt wirklich für eine vergessene oder verdrängte Moderne, für Außenseiter und Autodidakten öffnen. Bereits 1999 hatte Udo Kittelmann, der heutige Direktor der Berliner Nationalgalerie, im Kölnischen Kunstverein gemeinsam mit der Galeristin Susanne Zander die Schau Obsession kuratiert. Sie wurde auch von Bernd Ribbeck gesehen, der damals in Düsseldorf Malerei studierte. Hier wurden zahlreiche der heute hoch gehandelten Outsider-Stars präsentiert: Morton Bartlett (1909–1992), Eugene Von Bruenchenhein (1910–1983), Henry Darger (1892–1973), Paul Humphrey (1931–1999). Darger wurde mit der 2001 von Klaus Biesenbach im New Yorker PS1 kuratierten Werkschau zu einem internationalen Phänomen. Das wurde nur noch von af Klint übertroffen, die seit den Retrospektiven im Jahr 2013 im Moderna Museet in Stockholm und im Hamburger Bahnhof in Berlin als Pionierin der Abstraktion anerkannt ist.
Zu Beginn der 2000er-Jahre ist jedoch auch ein anderer Diskurs für Ribbecks Malerei relevant, der den Formalismusbegriff der Moderne hinterfragt. Mit seiner Ausstellung Formalismus. Moderne Kunst, heute greift Yilmaz Dziewior 2004 im Kunstverein in Hamburg nicht nur das Erbe der Moderne kritisch auf. Er vereint eine Reihe von Künstlern, darunter auch Maler wie Tomma Abts, Markus Amm oder Anselm Reyle, die eine neue Tendenz repräsentieren: diejenige, nach der sich das Biografische, Politische, das Nachdenken über Gender oder kulturelle Identität durchaus in der Abstraktion, in der Wahl des Materials manifestieren können. Die Faltung einer Folie, das Ziehen einer Linie, das Verwenden eines bestimmten Stoffes oder Stiftes können inhaltlich oder poetisch aufgeladene Gesten sein. Zugleich bildet sich hier Widerstand gegen die Vorstellung eines puristischen Formalismus, wie er etwa von Farbfeldmalerei, Hard Edge oder der Minimal Art postuliert wurde.
Ribbecks Werk greift dieses Denken auf. Auch für ihn ist die Wahl der MDF-Platte als Malgrund wichtig oder die Entscheidung, die Schraffuren auf seinen Farbflächen mit Kugelschreibern oder Pigmentmarkern auszuführen. Dennoch unterscheidet sich der Ansatz in seiner Malerei fundamental von vielen der in den aktuellen Formalismus-Debatten angeführten Positionen. Denn sie argumentieren immer noch innerhalb eines akademischen Referenzsystems und üben aus der Institution heraus Kritik an der Institution. Ribbeck hingegen interessiert sich für ein formalistisches Denken, das überhaupt nichts mit dem Kanon der Moderne oder den Institutionen zu tun hat, die ihn geschrieben haben.
Die frühen Bilder, mit denen Ribbeck Anfang der 2000er-Jahre bekannt wird, gleichen Hybriden aus beiden Sphären – der spirituellen, seherischen Welt der Outsider und der abstrakten Formensprache der Moderne. Eine seiner unbetitelten Arbeiten von 2003 ähnelt einer psychedelischen Version von Kasimir Malewitschs ikonischem Schwarzen Quadrat (1915), das quasi das Tor bildete, durch das die abstrakte Moderne in das 20. Jahrhundert einzog. Bei Ribbeck gibt es nicht nur ein Quadrat, sondern viele, hintereinander gestaffelte, die in unterschiedlichen Farbtönen glimmen. Sie erinnern auch an die berühmten Quadrate des Bauhaus-Meisters Joseph Albers, die allerdings ins Wanken geraten sind. Gemeinsam bilden sie so etwas wie einen kosmischen Tunnel in eine andere, jenseitige Dimension, einen noch unbekannten Raum. Die Nähe zum Suprematismus ist im Hinblick auf Ribbecks Werk gleich in mehrfacher Hinsicht interessant. Wie auch Malewitsch, der das Quadrat 1915 in der futuristischen Ausstellung 0.10 wie einen abstrakten Platzhalter übereck unter der Zimmerdecke montierte, dort, wo im russischen Zimmer der Platz der Ikone war, betrachtet auch Ribbeck seine Werke nicht nur als Bilder, sondern auch als Objekte, die mit dem Raum korrespondieren. Wie Malewitsch interessiert ihn die auratische Aufladung dieser Objekte. Während auf den illusionistischen Raum verzichtet wird, geht es in Ribbecks Malerei und bei der Installation seiner Gemälde auf häufig farbigen Wänden um die Frage nach dem Raumverhältnis, um die Beziehung von Vordergrund und Hintergrund – im Bild und außerhalb des Bildes.
Die spirituelle Erfahrung von Transzendenz und Unendlichkeit verbindet sich in Malewitschs Suprematismus mit der Erfahrung eines abstrakten Raumes. In seinen ab 2006 entstehenden Gemälden mit Kreis- und Kugelformen, die an Gestirne und Planeten oder abstrahierte Körper erinnern, greift Ribbeck mit derselben Ernsthaftigkeit die Abstraktionen und das Raumgefühl Hilma af Klimts auf. Mit der Spiritistin wählt er eine Koordinate für seine Malerei, die einen interessanten, gerne unter den Tisch gekehrten Punkt berührt – den Umstand, dass die rationale Moderne ihre Wurzeln durchaus auch im Irrationalen hat: „Die Beziehung der modernen Kunst zu Spiritismus und Okkultismus wurde lange Zeit nicht beachtet, obwohl in vielen Fällen diesbezüglich eindeutige Aussagen der Künstler vorlagen“, schreibt die Kunsthistorikerin Astrid Kurt 1998 in ihrem Essay Moderne Kunst und Spiritismus. „Der Grund dafür mag unter anderem in der Befürchtung liegen, dass durch die Aufarbeitung der okkulten Grundlagen der Moderne ihre Modernität relativiert werden könnte. Das Interesse am Okkulten in Künstlerkreisen war zumeist eine Reaktion gegen die bürgerlich verstandene Aufklärung und gegen die bürgerliche Gesellschaft, in der jedoch der Okkultismus gleichfalls mit Interesse, jedoch unter anderen Vorzeichen rezipiert wurde.“[1] Wie Kurt ausführt, war es vor allem das utopische Potential des Spiritismus, das die Künstler faszinierte. Zudem sei die Entwicklung der abstrakten Kunst um 1910 untrennbar verbunden mit der okkultistisch motivierten Erwartung einer Wende zum Geistigen, die durch die Malerei beschleunigt werden sollte.
Stellt man sich das Gedankengebäude der Moderne wie eine strahlende, vor allem von Männern erbaute Kathedrale des Funktionalen und Progressiven vor, die ganz im Sinne des Bauhauses Kunst, Architektur, Design, Musik Film, Fotografie und Literatur in sich vereint, dann widmet sich Ribbeck den Bauhütten, die daran gezimmert wurden, und der Wildnis davor, von der sich die etablierte Kunstgeschichte fast das gesamte 20. Jahrhundert über abgegrenzt hat. Dieses Gestrüpp ist wahnsinnig, weiblich, folkloristisch, spirituell. Es erstreckt sich von den Visionen von Außenseitern und psychisch Kranken über Volkskunst bis zum Okkultismus.
Dabei bildet Ribbecks Kunst alles andere als den Versuch, Glaubenssysteme oder verloren gegangene Ursprünglichkeit wiederherzustellen. Im Gegenteil, es geht ihm um das Weiterdenken und Bauen, das Anknüpfen an nicht zu Ende Gedachtes, nicht Verwirklichtes – an all diese imaginären und gigantischen Weltentwürfe und Utopien, seien es nun die Kosmologien von Hilma af Klint oder die in ihren riesigen Dimensionen nicht realisierbaren Entwürfe der Vertreter der französischen Revolutionsarchitektur wie Claude-Nicolas Ledoux (1736–1806) und Étienne-Louis Boullée (1728–1799). Die geometrischen Formen, die wie riesige Fächer oder stilisierte Schmetterlingsflügel auf Ribbecks Bildern emporragen, scheinen gleichermaßen von dieser Architektur wie auch von den Kirchen aus der Zeit des Jugendstils und des Expressionismus, wie etwa den Entwürfen des Belgiers Joseph Diongre (1878–1963) oder des bedeutenden deutschen Architekten Dominikus Böhm, inspiriert.
Diese Nähe zwischen Modernem und Sakralem ist bei Ribbeck kein Bekenntnis zum Glauben oder zur Spiritualität, sondern eher so etwas wie eine Spekulation. Man kann ihn mit einem Medium vergleichen, das eine spiritistische Sitzung abhält und Geister beschwört, ohne wirklich zu wissen, ob es ein Jenseits oder höhere Mächte gibt. „Ich würde mein Verhalten eher als ein modernes beschreiben, das auch eine Ordnung in der Arbeit herstellen will“, sagt Ribbeck. „Aber ich habe kein festes Weltbild, aus dem diese Ordnung resultiert – wie etwa die Futuristen, die proklamierten, alles sei von Dynamik geprägt, und dann auch dynamische Bilder malten. Mir fehlt das in dieser konkreten Form. Für mich hat es etwas mit Lust zu tun, konstruktiv zu handeln und über Jahre hinweg malerisch bestimmte Ordnungen aufzubauen. So begreife ich auch vorangegangene Annahmen von Ordnung, Wie etwa die der Spiritisten des 19. Jahrhunderts oder einer Heilerin wie Emma Kunz: vor allem
als ästhetische oder formale Erfahrung, die aber zugleich eine spirituelle Dimension haben können.“ So faszinieren ihn auch die Bilder und Illustrationen der Shaker, der im 18. Jahrhundert gegründeten amerikanischen Glaubensgemeinschaft, die für ihr einfaches, nahezu klösterliches Gemeindeleben, ihr Kunsthandwerk und ihre klaren, reduzierten Möbelentwürfe bekannt wurde. Die Shaker nutzten Raster, Kreise, rechteckige, dreieckige Formen für ihr Kunsthandwerk, um visuelle Harmonie zu erzeugen, die sie als Ausdruck einer inneren und göttlichen Ordnung empfanden, die dann wieder auf den Betrachter zurückwirken sollte.
Ribbecks offene Haltung ist durchaus auch politisch. Nicht nur, dass es Frauen und Außenseiter sind, auf die sich Ribbeck bezieht, auch seine malerische Praxis widersetzt sich ganz bewusst dominanten oder überwältigenden Gesten, die einen bestimmten Claim abstecken. Seine Bilder ergreifen keine Partei, sondern bewegen sich empfindsam entlang der Grenzen zwischen Disziplinen, Strömungen und Ideologien. Das gilt auch für sein Verhältnis zu den Diskursen in Kunst und Malerei. Als Ribbeck in den 1990ern, mitten in den Zeiten der Institutionskritik, beginnt, Malerei zu studieren, gilt dieses Medium als überholt und ausgelaugt. Innerhalb der Szene werden Maler und Malerinnen als konservativ, außerhalb des aktuellen Diskurses oder gar als reaktionär betrachtet. Ähnlich wie auch die amerikanische Malerin Laura Owens Mitte der 1990er an der Cal Arts als Reaktion auf institutionskritische Kunst eine ganz eigenwillige, konzeptionelle Malerei entwickelt, reagiert auch Ribbecks Praxis auf die Dogmen des Betriebs. Wie für Owens bieten für ihn die im akademischen Diskurs eher verpönten Bereiche der angewandten Kunst, der Mythen und der Volkskunst, Inspiration. Doch anders als etwa Owens, die männlich besetzte Mythen und Geniekulte des Abstrakten Expressionismus mit Witz, Stilwechseln, den unterschiedlichsten Techniken ad absurdum führt und sich dabei durchaus auf Maler wie Martin Kippenberger oder Albert Oehlen oder den Modernisten Francis Picabia beruft, verzichtet Ribbeck gänzlich auf die Strategie der Ironie.
Die Distanz zum Geniekult, zu erstarrten institutionellen Diskursen findet er viel eher in der Vorstellung, dass Kunst Ausdruck eines inneren Entwicklungsprozesses ist. „Malerei empfinde ich als eine Praxis, die sehr mit der eigenen Existenz verbunden ist. Man äußert sich sehr unmittelbar, wenn man mit der Hand Dinge in das Material, in das Objekt einschreibt. Wenn man das eine gewisse Zeit betreibt, baut man sein eigenes Haus, sein eigenes Formengebäude. Man ist dann sozusagen Herr im eigenen Haus und entscheidet ständig, was hineingenommen oder ´rausgeworfen wird. Es entsteht so vielleicht etwas wie eine Grundsubstanz, ein Kern, den man erst über die Jahre hinweg erkennt.“
Wie wandelbar dieses Formengebäude ist, wird bei den verschachtelten und rasterartigen Gebäudestrukturen deutlich, die Ribbeck auf seinen jüngsten Bildern konstruiert. Wurde zuvor auf den illusionistischen Bildraum völlig verzichtet, dreht Ribbeck nun ziemlich undogmatisch den Spieß um und erhebt ihn zum Gegenstand seiner Malerei. Die reduzierten Architekturen auf den Gemälden lassen an Giotto denken, aber auch an brutalistische und postmoderne Bauten oder den Stil des italienischen Faschismus. Vor allem aber assoziieren sie sich mit dem Werk eines der am meisten reproduzierten und imitiertesten Künstlers des 20. Jahrhunderts: M. C. Escher. Seine bekanntesten Arbeiten wie „Treppauf Treppab“ (1960) beschäftigen sich mit perspektivischen Unmöglichkeiten und den fantastischen Möglichkeiten virtueller Raumteilung. Sie trugen Escher in der Öffentlichkeit zwar nahezu den Status eines Popstars ein, doch zugleich blieb er in der etablierten Kunstwelt immer nur ein Grafiker, ein Außenseiter.
Ob Escher, die Outsider und Spiritisten, Malewitsch oder Feininger – die abstrakten Formen, die Ribbeck aufgreift, haben immer eine Wanderung hinter sich. Sie sind von Massenkultur oder der Volkskunst in die Hochkunst und wieder zurückmigriert, von mittelalterlichen Sternenkarten oder alchemistischen Geheimschriften zu Lesebüchern, Kalendern, Kirchenfenstern oder Stoffmustern. Die Frage, wie wir uns die Welt einrichten, was wir für ein Verhältnis zwischen innerem, visionärem Erleben und rationalem Denken entwickeln, ist für Ribbecks Werk durchaus wichtig. Wenn wie bei der Heilerin Emma Kunz unermessliches, uraltes Geheimwissen auf industriellem Millimeterpapier festgehalten wird, spricht das auch von einem gewissen Pragmatismus. Diese Dualität wird in einem Werkkomplex Ribbecks besonders deutlich. Ab 2012 entstehen als kreisförmige, im Vergleich zu seinen früheren Arbeiten sehr flächige Malereien. Plötzlich wirken seine Bilder entleerter, härter, signalhafter. Sie mögen an die berühmten Targets, die Zielscheiben von Jasper Johns, erinnern. Sie assoziieren sich aber auch mit den abstrakten Kreisformen tantrischer Malerei, die im indischen Rajasthan seit dem 17. Jahrhundert von Generation zu Generation weitergegeben und immer wieder neu kopiert wird. Basierend auf der Kosmologie des hinduistischen Tantras symbolisieren diese mit Tempera oder Wasserfarbe hergestellten abstrakten Bilder wie ein genau festgelegtes visuelles Alphabet verschiedene Zustände eines erhöhten Bewusstseins. Im alltäglichen Gebrauch werden sie für die Meditation an die Wand geheftet. In diesem Sinne kann man auch Bernd Ribbecks Bilder durchaus als spirituell bezeichnen. Sie entspringen der Meditation über die eigene künstlerische Entwicklung und die Diskurse der Malerei. Zugleich funktionieren sie tatsächlich wie Mandalas, auf die wir uns in unseren eigenen Meditationen über die Kunst fokussieren können.
[1] Astrid Kurt, „Moderne Kunst und Spiritismus“ in Zwischen Orientierung und Krise: zum Umgang mit Wissen in der Moderne, Hrsg. Sonja Rinofner-Kreidl, Wien 1998.