Streuobstwiesen sind viel mehr als Apfelbäume und Gras – sie stecken voller Leben. Mit den rund 5.000 Pflanzen- und Tierarten, die sich hier zusammengefunden haben, gehören sie zu den artenreichsten Lebensräumen Mitteleuropas, aber leider auch zu den meist bedrohten. Bei den noch vorhandenen Beständen an Streuobstwiesen liegt Baden-Württemberg bundesweit ganz vorne und hat sie wegen ihrer Bedeutung für Insekten und Vögel unter Naturschutz gestellt.
Unsere Kulturlandschaft wird maßgeblich durch Streuobstwiesen geprägt. Mag ihre Nutzung auch zurückgegangen sein, so tragen sie inzwischen viel zum Freizeit- und Erholungswert der Region für Einheimische wie für Besucher bei.
Ohne Pflege der Flächen und der Bäume gehen Streuobstwiesen jedoch verloren. Auch Kommunen stehen vor der Aufgabe, ihre Obstbäume, die auf solchen Flächen stehen, Bestandteil von Hecken sind oder als Ausgleichsmaßnahmen für Eingriffe gepflanzt wurden, zu pflegen. Die fachgerechte Pflege will aber gelernt sein.
Die Erhaltung der Kulturlandschaft und wertvoller Naturlebensräume ist die Kernaufgabe der Landschaftserhaltungsverbände. Der LEV Rhein-Neckar e. V., der dieses Jahr sein 10jähriges Bestehen feiert, hat den ersten von mehreren Kursen für Bauhofmitarbeiter zu naturschutzrelevanten Themen bereits 2014 durchgeführt. Diesen Januar und Februar wurden nun erneut insgesamt 53 Mitarbeiter aus 20 Städten und Gemeinden in zwei Kursen je zwei Tage lang im fachgerechten Schnitt von Obstbäumen in Theorie und Praxis geschult - ein für die Mitgliedskommunen des LEV Rhein-Neckar e.V. kostenloses Angebot.
Die Organisatorin des Kurses, Katrin Naumann, hatte als Referenten hierfür Michael Frauenfeld, den Geschäftsführer des Kreisverbands für Obstbau, Garten und Landschaft Rhein-Neckar e. V. gewinnen können. Ihm zur Seite standen Andrea Schemel, Fachberaterin für Obst- und Gartenbau beim Amt für Landwirtschaft und Naturschutz des RNK, und mehrere Fachwarte für Obst- und Gartenbau. Dankenswerterweise stellte die Stadt Sinsheim für den Theorieteil und die Mittagspausen beim Bauhof die idealen Räumlichkeiten zur Verfügung.
Am Vormittag des ersten Tages erläuterte der Referent anschaulich per Präsentation mit Beamer und Leinwand grundlegendes Ziel und Vorgehensweise bei der Obstbaumpflege. Diese beginnt mit dem richtigen Aushub eines Pflanzlochs, dem Setzen des jungen Baumes und dessen Pflanzschnitt. Zu wissen, wie ein Baum an welcher Stelle auf Schnittmaßnahmen reagiert, ist die Voraussetzung für den Erziehungsschnitt in den Folgejahren. Die Kursteilnehmer lernten, beim Schnitt mehrere Jahre vorauszuschauen. Ziel ist es, eine stabile, vitale und ertragreiche Pyramidenkrone zu etablieren.
Wie mit nicht mehr jungen, vielleicht ungepflegten oder schon abgängigen Obstbäumen umzugehen ist, wurde anschließend behandelt. Es wurde auf die Bedeutung von Höhlen und Totholz als Habitat für viele Tierarten hingewiesen. Im Austausch mit Herrn Frauenfeld und Frau Schemel wurde manche auftauchende Frage diskutiert. In der Mittagspause stärkte man sich bei einem vom LEV spendierten Imbiss, bevor es zum praktischen Teil hinaus in die schöne Kraichgaulandschaft ging.
Am Nachmittag und dem ganzen Folgetag wurden die erworbenen Kenntnisse auf verschiedenen Flächen der Gemarkung Sinsheim in die Praxis umgesetzt. Zunächst wurde ein junger Birn- bzw. Apfelbaum gepflanzt. Die Teilnehmer erfuhren, wie man Wühlmäusen, Rindenbrand und Beschädigungen durch den Anbindepfahl vorbeugt. In kleinen Gruppen durften die Teilnehmer aus den Mitgliedskommunen dann selbst mit Schere und Säge junge Bäume schneiden. Es zeigte sich schnell, dass diese oft nicht ideal gewachsen sind und Hineindenken in die Entwicklung gefragt ist. Begriffe aus der Theorie wie Leitäste, Saftwaage oder „Deppenknick“ nahmen nun Gestalt an.
Der nächste Tag brachte mit dem Schnitt mittelalter Bäume neue Herausforderungen: Unübersichtlich waren sie, teils beschädigt, manche zuvor suboptimal geschnitten. Sehr engagiert wurde in den einzelnen Gruppen über den richtigen Schnitt diskutiert. Die Fachleute, so erfuhr man von Herrn Frauenfeld, schnitten auch alle etwas unterschiedlich – wichtig sei, das Grundgerüst des Baumes über die Jahre konsequent beizubehalten.
Bei der anschließenden Pflege von Altbäumen war weniger die Idealform als vielmehr Verjüngungs- bzw. Erhaltungsschnitt und Verkehrssicherheit das Thema. Richtig alten Baumpersönlichkeiten, teils voller Wasserschosse, teils mit vielen abgestorbenen Ästen, ging es mit schwerem Gerät an die Kronen. Sogar ein Hubsteiger der Stadt Sinsheim kam zum Einsatz. Diese übernahm freundlicherweise auch das Abräumen und Entsorgen des Schnittgutes.
Die Bauhofmitarbeiter zeigten sich trotz widriger Witterung interessiert bis zum Schluss und regten an, nächstes Jahr die gleichen Bäume nochmals aufzusuchen, um zu sehen, wie sie sich nach den in diesem Jahr ausgeführten Schnittmaßnahmen entwickelt haben. Man habe trotz einiger Vorkenntnisse noch sehr viel gelernt, und auch der Austausch mit den anderen Bauhöfen sei ein Gewinn, so das allgemeine Fazit.
Die gewünschte Folgebegehung wird vom LEV gerne aufgegriffen. Außerdem soll 2024 ein Schnittkurs für nichtkommunale Mitglieder des LEV stattfinden.
Foto: LEV